16.06.2017 - Arzneimittel

Beurteilung von kritischen Mikroorganismen in nicht-sterilen pharmazeutischen Produkten (= objectionable microorganisms) - Teil 1

Einleitung

Die Prüfung nicht-steriler Produkte, z.B. Tabletten, Kapseln, Pulver, Salben oder Inhalationsprodukte, wird grundsätzlich nach den Kapiteln 2.6.12 und 2.6.13 des Europäischen Arzneibuches (Ph. Eur.) durchgeführt und es werden die Akzeptanzkriterien des Kapitels 5.1.4 empfohlen. Die dort beschriebenen Methoden und Anforderungen gelten als mit dem US-Amerikanischen (USP) und dem Japanischen (JP) Arzneibuch harmonisiert (ICH Q4B 2007). Offiziell wurden sie im 2006 vorgestellt und gelten seit 2009 in Europa. 

Die alten Methoden sind seit der Implementierung der Ph. Eur. Edition 6.3 im Arzneibuch nicht mehr beschrieben und gelten daher nicht mehr als validiert. Somit muss man also aufpassen, nicht die alten Methoden zu verwenden, es seiden man kann eine entsprechende Validierung (z.B. nach Ph. Eur. Kapitel 5.1.6) oder mindestens eine Risikobetrachtung vorweisen. 

Die Anforderungen des Ph. Eur. Kapitels 5.1.4 sind als das absolute Minimum anzusehen. Viele Behörden erwarten unterdessen, dass weitere im Produkt gefundene Isolate auf ihr Gefährdungspotenzial hin beurteilt werden sollten. Wie eine solche Beurteilung sogenannter kritischer Mikroorganismen (objectionable microorganisms) aussehen kann, wird in dem vorliegenden Newsletter beschrieben. 

Es stellt sich die Frage, ob diese Vorgabe auch für pflanzliche Produkte gilt. Im Kapitel 5.1.8 der Ph. Eur. findet sich keine solche Anforderung. Dennoch sollte man sich überlegen, ob auch für diese Produkte bzw. Patientengruppe es kritische Mikroorganismen gibt. Sollte dies der Fall sein, muss man sich überlegen, wie man dies überwachen kann. Dieser Aspekt wird hier nicht näher betrachtet.

Beurteilung kritischer Mikroorganismen 

Hintergrund

Beurteilung kritischer Mikroorganismen 
In zwei Publikationen werden Rückrufe nicht-steriler Produkte aufgrund kritischer Mikroorganismen zusammengefasst (Jimenez 2007, Sutton & Jimenez 2012). So wurden z.B. in den Jahren 1998-2006 insgesamt 134 nicht-sterile Produkte durch die US-Amerikanische Behörde (FDA) aufgrund kritischer Mikroorganismen vom Markt zurückgezogen (siehe auch Abb. 1). 

Auch wenn diese Zahl klein erscheint, so zeigt gerade die zweite Studie von Sutton & Jimenez 2012 eine klare Zunahme des Interesses der FDA an diesem Thema. Somit sollte sich jede Firma eine entsprechende Strategie zur Evaluation, was sie für ihre Produkte als kritisch beurteilen, erarbeiten und in einer SOP festhalten. 

Abb. 1: Prozentuale Anzahl an Rückrufen aufgrund kritischer Mikroorganismen in 134 nicht-sterilen Produkten in den Jahren 1998-2006 (nach Jimenez 2007).

Dritter Balken von Links: in den Fällen wurden keine genauen Identifizierungen angegeben.

Beurteilungskriterien 

Was muss man sich unter den kritischen Mikroorganismen vorstellen? Eine offizielle Definition dazu gibt es nicht. Jedoch findet man in diversen Publikationen Informationen dazu (z.B. CFR, FDA 1979, PDA 2014, Ph. Eur. 5.1.4, USP <1111> und <1115>). 

Grundsätzlich geht es darum, Isolate, die im Produkt gefunden werden mikrobiologisch zu beurteilen. Dabei sollten folgende Punkte betrachtet werden: 

  • Wie groß ist die gefundene Keimzahl im Produkt? 
  • Wie kritisch ist das gefundene Isolat? 
  • Was sind die Eigenschaften des Produktes indem das Isolat gefunden wurde? 
  • Was ist der potentielle Effekt auf die Patientengruppe? 

Keimzahl: Die Anzahl der gefundenen Mikroorganismen hängt primär mit der Infektionsdosis zusammen. Für gewisse Mikroorganismen reichen schon einige wenige KBEs, um eine Krankheit beim Patienten hervorzurufen, bei anderen braucht es Mengen, die weit über der Anforderung von Kapitel 5.1.4 liegen (Tabelle 1). Auch sollte beachtet werden, ob die vorhandene Menge an Mikroorganismen einen negativen Einfluss auf das Produkt haben könnte (z.B. Bildung von Toxinen oder Abbau des Produktes oder Teile davon). 

Tabelle 1: Beispiel von Infektionsdosen (KBE) verschiedener Mikroorganismen (aus diversen Quellen). Angaben ohne Gewähr!

Hinweis: Die angegebenen Spannen ergeben sich aus unterschiedlichen Literaturangaben.

Gefundenes Isolat: Als nächstes muss man sich Gedanken über das gefundene Isolat machen. Viele Mikroorganismen kann man als unproblematisch betrachten (z.B. typische Hautbakterien wie Micrococcus luteus). Andere hingegen werden immer wieder bei nosokomialen Erkrankungen gefunden und stellen daher ein erhöhtes Patientenrisiko dar. Hier ist im Moment als Nummer 1 Burkholderia cepacia zu nennen (Abb. 1). Diese Art ist besonders kritisch für Patienten mit zystischer Fibrose oder chronischer Granulomatose, kann aber auch die Ursache von Wundinfektionen, Endokarditis oder Lungenentzündungen sein (siehe auch Torbeck et al. 2011). 

Was ist Nosokomial? 

Nosokomiale Infektionen sind im Krankenhaus erworbene Infektionen. Der Patient ist ohne diese Infektion in das Krankenhaus eingeliefert worden. Ein Beispiel für ein Erreger von nosokomikalen Infektionen ist MRSA (Methicillin resistente Staphylococcus aureus).

Eigenschaften des Produktes: Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Produkt selber, in welchem das Isolat gefunden wurde. Dabei betrachtet man orale, feste Applikationsformen als weniger kritisch als flüssige Inhalationsprodukte (PDA 2014). Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Wasseraktivität des Produktes. Liegt diese beispielsweise unter einem Wert von 0.61 kann kein mikrobielles Wachstum auftreten (USP <1112>). 
Aber Achtung, das hießt nicht, dass die Mikroorganismen absterben! Es heißt nur, dass sie sich nicht vermehren können. Schlussendlich sollten die historischen Daten des betroffenen Produktes betrachtet werden. Hier wird beurteilt, ob es bereits in der Vergangenheit Kontaminationen gegeben hat und welche Mikroorganismen gefunden wurden. 

Patientengruppe: Am Ende muss die Patientengruppe betrachtet werden. Hier sind Säuglinge, Kleinkinder, ältere Personen oder (immun-)geschwächte Personen kritischer betroffen als gesunde Personen. 
Mittels der zusammengetragenen Informationen kann dann die Mikrobiologin oder der Mikrobiologe eine entsprechende Risikobetrachtung durchführen. Sollte mal ein kritisches Isolat gefunden werden, kann es sich lohnen eine weitere Beurteilung von einem medizinischen Mikrobiologen zum Patientenrisiko einzuholen.

Identifikation der Isolate 

Häufig wird die Frage gestellt, wann und was bei der Prüfung nicht-steriler Produkte identifiziert werden und ab welcher Keimzahl eine Risikobetrachtung durchgeführt werden muss. Grundsätzlich wird heute erwartet, dass man jedes einzelne gefundene Isolat (z.B. aus der Keimzahlbestimmung und/oder der Prüfung auf spezifizierte Mikroorganismen) betrachtet und gegebenfalls identifiziert und beurteilt. Dies ist bei chemisch hergestellten Produkten kein zu großer Aufwand, da man da meist keine Kontaminationen hat, aber bei anderen Produkten (v.a. natürlichen Ursprunges) ist dies nicht immer einfach und teilweise nicht mehr machbar. Da lohnt es sich, mittels Risikobewertung, einen gangbaren Weg zu finden (siehe Abb. 2 als Beispiel). 
Ergebnisse der Identifizierung erlauben es früh Schwachstellen in dem Prozess zu erkennen und Maßnahmen einzuleiten.   

Abb. 2: Beispiel eines möglichen Entscheidungsbaumes, wann eine Beurteilung (Risikoabschätzung) notwendig ist und welche Produkte freigegeben werden können oder nicht. IR = Investigation Report, ID = Identifikation, OOS = Out of Specification, OOE = Out of Expectation (Out of Trend).

Fazit

Wie soll man nun vorgehen? Da wir unter GMP arbeiten braucht es als erstes eine SOP, welche das Konzept und die Vorgehensweise beschreibt. Gegebenenfalls kann man auch ein Flussdiagramm zur Reduktion der Arbeit bei speziellen Produkten in die SOP aufnehmen (Beispiel siehe Abb. 2). Zu beachten ist, dass wenn ein Isolat beurteilt werden soll, die Keimidentifizierung sehr gut sein muss, d.h. es sollte eine Methode gewählt werden, die ein zuverlässiges Ergebnis liefert (z.B. DNA-Sequenzierung oder MALDI-TOF). 
Die Beurteilung selber sollte durch eine Fachperson (z.B. pharmazeutischer Mikrobiologe) erfolgen. Mehr Informationen zur Vorgehensweise für eine solche Beurteilung gibt es in verschiedenen Quellen (siehe Goverde 2012, Beckmann 2010, Roesti 2012, Sutton 2006, Sutton 2012, PDA 2014). 

Zusammenfassung

Bei der Prüfung nicht-steriler Produkte reicht es heute nicht mehr aus, nur die Anforderungen nach Ph. Eur. 5.1.4 (Tabelle 1) einzuhalten. Die Hersteller müssen zeigen können, dass sie keine kritischen Mikroorganismen in den Produkten haben. Am einfachsten ist die Identifizierung aller gefundenen gewachsenen Kolonien, welche dann nach einem vorgegebenen Bewertungsschema beurteilt werden, es seiden es liegt eine entsprechende Risikobetrachtung vor. 

In dem folgenden Newsletter (Teil 2) werden wir konkrete Beispiele darstellen.